WORKSHOPS


CHORMUSIK IM JAZZ

Dr. Matthias Becker 1993 · Begleitheft der CD-Dokumentation 3. Deutscher Chorwettbewerb/Stuttgart 


Meervocal-Workshop und Ausstellung Verlag „MusKal SpeZial“ 7.-9. Juli

„Das Kompositum Jazzchormusik, hierzulande eine terra incognita, mutet widersprüchlich an, denn es bindet zwei sich vermeintlich widersprechende Begriffe: die komponierte oder arrangierte Chormusik und die improvisierende Kunstform Jazz. Während der Jazz-Chorgesang, als vokale Mehrstimmigkeit in einem jazzhaften Kontext definiert, in Europa heute noch eine quantité négligeable darstellt, läßt er sich in Amerika weit verbreitet bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen. Blues, Spiritual und Gospel, Barbershop, Rhythm&Jive sowie vor allem die instrumentale Jazzmusik trugen zur Entwicklung des mehrstimmigen Jazzgesangs bei – die jazzverwandte Musik sei dabei immer mitbedacht. Die Ausführenden waren zunächst gleichstimmig besetzte Trios oder Quartette, die von einer Combo respektive Big Band begleitet wurden. So war der Stil der Vokalgruppen zwar von allgemeinen Entwicklungen innerhalb der Jazzmusik abhängig, die Ensembles aber als reine Epigonen ihrer instrumentalen Vorbilder zu bezeichnen wäre verfehlt, denn The Boswell Sisters, The Rhythm Boys und auch The Mills Brothers – eines der ersten farbigen Rhythm & Jive-Quartette – schufen mit ihren individuell geprägten Interpretationen etwas Eigenständiges. Vor allem die Verwendung der Sprache, der textgezeugte Ausdruck und Arrangierstil, sowie der Scatgesang verliehen den Vokalgruppen eine besondere Qualität, die bei allen Imitations- und Adaptionsverfahren der instrumentale Jazz niemals erreichen konnte. 

Während die ersten Vokalensembles einen signifikanten Personalstil ausprägen, führte die zahllose Gründung von close harmony Gruppen in den 30er Jahren zu einem Kollektivstil. Close harmony erklingt in einem meist oberstimmenbetonten Tonsatz, der homorhythmisch die Kontrakturform vier- oder fünstimmiger Akkorde verwendet. Die Arrangierweise, zunächst für einzelne Instrumentengruppen (sections) der Big Band entwickelt, wurde von den meist gemischten Vokalquartetten und –quintetten der Swing-Ära übernommen. Der klangästhetische Reiz dieser Satztechnik in Verbindung mit gesungenen Texten faszinierte die Zuhörer. Chormusik im Jazz manifestiert sich hauptsächlich im textbezogenen Arrangement und nur selten in der textgezeugten Komposition. Die Jazzchorliteratur in Amerika – und der Jazzchor ist primär ein amerikanisches Phänomen – wird bis auf wenige Ausnahmen von kleinen Ensembles bis zu acht, seltener bis zu zwölf Stimmen, mit Hilfe der Mikrophontechnik und meist mit Begleitung eines Instrumentalensembles interpretiert. Das zunehmende Raffinement in der Verwendung avancierter Harmonik, die teilweise Übernahme instrumentaler Satztechniken und Gene Puerlings Arrangiertechnik kennzeichnen bis heute die stilistische Entwicklung der Chormusik im Jazz und in der jazzverwandten Musik.“


IMPROVISATION IM CHOR

Prof. Gunnar Eriksson/Göteborg 1995 · Vorwort zu „Kör ad lib“  


Meervocal-Workshop und Konzert mit „Rilke Ensemble“ 7.-9. Juli 2ooo

„Um eine Melodie zu bewegen, aus ihrem festgelegten Arrangement herauszuwachsen, oder Ausgangspunkt für mehr oder weniger unüberschaubare Verwandlungen- klangliche, rhythmische oder melodische – zu sein, kann man beim Improvisieren Freude an den Erfahrungen sowohl alter als auch neuer Musik haben. Hier einige Möglichkeiten: Ton und Bordun: Probiert jeden einzelnen Ton der Sakal zusammen mit dem Bordun aus. Macht ein sehr langsames Glissando vom zweiten bis zum Grundton der Skala. Nehmt alle namenlosen Töne dazwischen wahr. Führt ähnliche Glissandoübungen zwischen den restlichen Tönen der Skala aus, um ein Gefühl für den Abstand zu bekommen und für das Universum, das sich innerhalb eines jeden Intervalls verbirgt. Tempoverhältnisse und Polyrhythmik: Probiert die Melodie gleichzeitig in verschiedenen Tempi, zunächst jeder Sänger in seinem eigenen Tempo (evtl. jeweils bis zum Ende einer Phrase; dort „trifft“ man sich wieder). Ein Teil des Chores singt die ganze Melodie während andere Sänger auf einzelnen Tönen ihrer eigenen Wahl verweilen (Halleffekt). Probiert eine Entwicklung vom Chaos zur Ordnung: jeder singt die Melodie in eigenem Tempo und Tonart, sucht sich allmählich kompromißhaft zu einem anderen Sänger, einigt sich in unisonem Gesang, schmilzt dann zusammen mit seinem Kameraden wiederum mit anderen zusammen, bis der Chor schließlich unisono singt.

Dann singt jede Stimmgruppe in ihrem eigenen Tempo (Stimmführer dirigieren), allmählich in festen Tempoverhältnissen: 1:2, 2:3, 3:4 … „Dirigieren“, indem man die entsprechenden Tempoverhältnisse auf den Beinen klatscht. Polytonalität und Polymetrik: Erweitert die Improvisation, indem ihr die Melodie polytonal ausprobiert: legt einen „Falschen“ Bordunton unter die Melodie; beginnt mit der Quinte der Grundtonart. Spürt, wie die Melodie sich öffnet. Nehmt als nächstes  die Subdominante als Bordun und merkt, wie dieeinzelnen Töne neue Bedeutungen und neue Aufträge bekommen. Traditionelle Melodien in Moll können oft eine neue, exotische Tonalität erhalten, wenn man den Bordun eine große Terz unter den Grundton legt. Der Bordun kann zu einem Ostinato aus zwei oder mehreren Tönen erweitert werden. Laß das Ostinato wachsen oder schrumpfen, so daß es aus der Taktart der Melodie ausbricht. Füge eine weitere Figur in einer dritten Taktart hinzu usw.“

Bo Ejeby Förlag  ISBN 91 88316 10 6

ROCK IM CHOR

Stefan Kalmer · 2000 Vorwort zu „RiCh2“


Meervocal-Workshop und Konzert mit „Voices in Time“ 7.-9. Juli

„Rock im Chor,und das auch noch a cappella – geht das, klingt das überhaupt nach Rock? Also Chor mit Rockband? Dann liefert zwar die Rhythmusgruppe den richtigen Groove, der Chor lässt sich aber kaum adäquat verstärken, Teile des Chores werden dabei oft zu reinem Background degradiert und eine Solostimme mit ein paar Backgroundsängerlnnen” brächte eigentlich musikalisch mehr. Deshalb wollen viele Chöre Rock auch ohne instrumentale Begleitung singen. A cappella wird der Chor zwar nie den von der Rockmusik gewohnten Sound und den dazu gehörenden Lautstärkepegel erreichen, aber das erwartet wohl auch niemand von ihm. A cappella ist der Chor gefordert selbst den richtigen Groove zu bringen, einen passenden Chorklang zu finden und das Stück angemessen zu präsentieren. Das ist nicht ganz einfach, aber mit Rock im Chor (RiCh) möglich. Zur Ausführung der Stücke: Die Stimmen, die im a cappella-Arrangement die Funktion der Rhythmusgruppe übernehmen,

sollten möglichst immer stabil im Tempo bleiben, eine Bewegung, z.B. eine Schrittfigur, kann dabei helfen. Die Melodie, besonders wenn sie solistisch besetzt ist, kann dagegen durchaus agogisch freier gestaltet werden, der Bezug zum Beat darf dabei aber nicht verloren gehen. Die Akkordsymbole geben in “RiCh” den harmonischen Verlauf nur zusammenfassend wieder. Zu Gunsten der besseren Übersicht werden nicht alle Durchgangs- bzw. Vorhaltsakkorde bezeichnet. Sehr bekannt ist der Titel Gianna in der deutschen Interpretation von Wolfgang Petry. Das Original stammt aus Italien, deshalb schlagen wir auch erstmals einen italienischen Originaltext vor. Ebenfalls eine sprachliche Besonderheit stellt Do Ge Da Ja dar. Was auf den ersten Blick nur wie Nonsens oder Scat aussieht, steht tatsächlich in Süddeutschland mundartlich für “Da geht er ja!”. Die englische Version wagt eine Lautübertragung ins umgangssprachliche Anglo-amerikanisch.“


JAZZCHOR FREIBURG 

Florian Städtler – Organisatorische Leitung –  Februar 2000 – Leitung: Bertrand Gröger


Meervocal-Konzert 11.Juni Wunstorf und  Meervocal-Workshops 7.-9. Juli

“Jazzchor? Da kann ich mir irgendwie gar nichts drunter vorstellen, ausserdem veranstalten wir nur noch ‘Künstler mit Namen“. So oder ähnlich lautet die unzählige Male gehörte Reaktion auf Anrufe sowohl bei Jazz-Clubs als auch bei Festivals mit gemischtem Programm. Schnell stellte sich heraus, dass man als Vertreter (und “Verkäufer”) einer jungen Gattung zur ständigen Aufklärungsarbeit verdammt ist. Erfahrungsgemäss spaltet sich die Zuhörerschaft, Veranstalterseite und die Kritik in zwei Parteien: Da sind die Jazzer und Klassiker, zumeist streng puristisch oder mit stilistischen Scheuklappen namens ‘Avantgarde’, ‘Dixie’ oder ‘Neue Musik’ ausgestattet. Diese intellektuell gepanzerten Experten  neigen dazu, Jazzchöre als “uncool” und “square” (Jazz) bzw. grundsätzlich stilistisch fragwürdig (im Sinne der sogenannten E-Musik) und somit kulturell unbedeutend zu empfinden. Dieser Fraktion stehen die kommerziellen Veranstalter und die sowieso derzeit um Ihre Existenz bangende Tonträger-Industrie gegenüber. Nehmen wir zum Beispiel doch mal den Namen ‘Jazzchor Freiburg’: dieser beinhaltet gleich zwei Begriffe, die den Marketing-Menschen die Stirne runzeln lassen.

‘Jazz’, Name einer elitären, kommerziell uninteressanten Spartenmusik (Marktanteil bei 1% !) und ‘Freiburg’, das klingt regional, provinziell. Nicht einfach war es also auch für den oben genannten Chor, sich im Konzertgeschehen zu etablieren, sich finanziell über Wasser zu halten und dabei nicht das Hauptanliegen, die eigene Musik, aus den Augen zu verlieren. Und doch gelangen dem Jazzchor Freiburg seit seiner Gründung durch seinen Leiter Bertrand Gröger im Jahre 1990 Dinge, die die Verantwortlichen selbst manchmal ungläubig den Kopf schütteln lassen. Heute singt der Chor bei renommierten Festivals und mit grossen Orchestern ca. 35 Konzerte pro Jahr, tourt im In- und Ausland, hat mehrere CDs vorgelegt und bei zahlreichen Chorwettbewerben erste Preise erzielt. In meiner Funktion als organisatorischer Leiter des Chores wird meine Sicht der Dinge immer subjektiv bleiben. Trotzdem nun ein Versuch, in Stichpunkten Hinweise zu geben, wie ein Chor sich vom ehrgeizigen Laienchor mit 5 Konzerten im Jahr zu einer international bühnenerfahrenen Truppe entwickeln konnte.

1. Der Chorleiter2. Der Chor 3. Die Aktivitäten4. Der Background
100% Einsatz für sein einziges (!) Ensemble2 Aufnahmeprüfungen mit dem Ergebnis, dass jeder Neueinsteiger sofort Konzerte singen kannKonzerte, Wettbewerbe, TV- und Rundfunk, TourneenOrganisatorische Leitung
Leitsatz “nie stehen zu bleiben”Konsequent angewandte FehlregelungPR-Material (Prospekt, Tonträger, CD-ROM), Pressearbeit, Homepage, Newsletter, Mailing Liste, etc.Förderverein und Sponsoren
Kompositionen und Arrangements “maßgeschneidert”Begeisterung und maximaler Einsatz für die Sache (Sonderproben, 30-40 Konzerte im Jahr)Kommunale Förderung
Experimentierfreude, Wille zum “Crossover”feste Begleit-Band; regelmäßig Gastsolisten
Förderung durch den Deutschen Musikrat
Marketing durch befreundete Werbeagentur
Mitgliedschaft in Verbänden (IFCM, DSB)
“Drive” und Eigenständigkeit des Chors  ZIEL: ständiges musikalisches Wachstum  ZIEL: maximale PräsenzZIEL: bestmögliche Arbeitsbedingungen für den Chor; Fundraising (Sponsoren-Förderer-Mix)

Der Jazzchor Freiburg ist immer noch ein Laienchor auf hohem Niveau. Mehr und mehr wurde das Umfeld zur Aufrechterhaltung der regen Aktivitäten professionalisiert.

Der Geist des Chores aber wird immer vom höchstem persönlichen Einsatz und den individuellen Fähigkeiten aller Beteiligten leben.